Klangwahrnehmung

Hörakademie Heidelberg

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Mehr über das Grund- und Obertonhören

Resonatoren von Helmholtz 1859.
Helmholtz-Resonatoren

Obertöne zum Anfassen: Helmholtz-Resonatoren

Hermann von Helmholtz 1821-1894 beschrieb in seiner "... Lehre von den Tonempfindungen als physiologische Grundlage für die Theorie der Musik." (Heidelberg 1863) zum ersten Mal die unterschiedliche Wahrnehmung von Obertönen. Er erforschte die Wahrnehmung von Obertönen mit Hilfe seiner 1859.entwickelten Resonatoren.

Diese hohlen Metallkugeln auf dem Bild links haben zwei Öffnungen: Eine große, in die der Schall eintritt und einen kleinen Zapfen (hier oben), der ins Ohr gehalten wird.

Jede Kugel verstärkt einen anderen Oberton mit einer bestimmten Frequenz, damit konnte die Existenz der Obertöne erstmals bewiesen werden.

Das Ergebnis des Oberton- und Grundtontests beschreibt die individuelle Wahrnehmung dieser Obertöne.

 


Aufbau des Tests

Mit einer Forschergruppe der Neurologischen Universitätsklinik Heidelberg ging Dr. Peter Schneider bei der Entwicklung eines neuen Klangwahrnehmungstests mit über 2000 Probanden von der Annahme aus, dass man zwei Möglichkeiten der Tonhöhenwahrnehmung unterscheiden kann – je nachdem, ob sich ein Hörer eher an der Grundfrequenz eines harmonischen Klangs (das heißt an dessen Grundton) oder an dessen Obertonstruktur orientiert.

Es zeigt sich nämlich, dass sich die erlebte Tonhöhe um bis zu drei oder vier Oktaven unterscheidet, wenn derselbe Klang unterschiedlichen Hörerinnen und Hörern vorgespielt wird. Bei diesen Tests wird die Richtung (aufsteigend – absteigend) für jeweils zwei aufeinanderfolgende Klänge bestimmt, bei denen die Grundfrequenz fehlt. Die präsentierten Obertongruppen weisen für die Klangfarben- und Tonhöhenwahrnehmung relevante Strukturmerkmale auf, wie sie charakteristisch für Instrumentalklänge und stimmhafte Sprachlaute sind. Durch eine gegenläufige Verschiebung der Obertongruppen und des fehlenden Grundtons ist es möglich, den Grad an grund- oder obertonbezogenem Hören zu bestimmen. Dabei wird für jeden Probanden ein „Hörindex der Klangwahrnehmung“ berechnet, dessen Wertebereich zwischen -1 (nur Grundtöne gehört) und +1 (nur Obertöne gehört) liegt. Sowohl bei Kindern als auch bei Erwachsenen wurde eine sehr breite Verteilung der Höreigenschaften mit unterschiedlich verlaufenden Grenzen zwischen den individuellen Wahrnehmungsbereichen für Grundtöne, oktavierte Grundtöne und Spektraltöne gemessen. Ein gewisser Anteil an Hörerinnen und Hörern nimmt im gesamten Testbereich ausschließlich Obertöne oder Grundtöne wahr. Manche Hörer sind im tiefen Frequenzbereich Grundtonhörer und im hohen Frequenzbereich Obertonhörer, andere genau umgekehrt, sodass sich je nach Hörtyp völlig unterschiedliche Klangwahrnehmungsprofile ergeben.

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Beispiel von zwei aufeinanderfolgenden komplexen Tönen. Durchgezogene Linien kennzeichnen die physikalisch vorhandenen Obertöne („Harmonische“), während die gestrichelten Linien die physikalisch nicht vorhandenen Töne darstellen, so auch den fehlenden Grundton (Nummer 1). Aufgabe ist es, die dominant gehörte Tonrichtung zu bestimmen. 

 


Ursache der unterschiedichen Klangwahrnehmung

Lage der Heschl Gyri
Lage der klangverarbeitenden Gehirnareale

Anatomische Unterschiede im Gehirn

Die zeitlichen Verarbeitungsvorgänge (Tonlänge und Rhythmus) werden dabei im linken Hörcortex, die spektralen sowie musikspezifischen Verarbeitungsvorgänge (Klangfarbe und Melodiekontur) hingegen im Hörcortex der rechten Gehirnhälfte abgebildet. Grundtonhörer weisen einen größeren linken HG auf, Obertonhörer hingegen einen vergrößerten, dominanten rechten HG.

Der Schwerpunkt der Gehirnaktivierung ist im seitlichen Bereich des Heschl Gyrus (HG) lokalisiert (siehe Abbildung), einer Gehirnwindung im Zentrum des Hörcortex, die nach dem Wiener Anatom Richard Ladislaus Heschl benannt (1878) ist.

Mit dem Verfahren der Magnetoencephalografie (MEG) zur Messung der Gehirnströme beim Hören von musikalischen Klängen sowie der strukturellen Magnetresonanztomografie (MRT) zur Erfassung der anatomischen Struktur wurden diese Erkenntnisse solide dokumentiert.

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Rekonstruktion des auditorischen Cortex. Obertonhörer haben einen dominanten rechten Heschl Gyrus (HG, rot gefärbt), Grundtonhörer einen dominanten linken HG (blau).

 


Berufsmusiker wählen die Instrumente passend zu ihrer Klangwahrnehmung

Es zeigte sich ein direkter Zusammenhang zwischen dem dominanten Hörmodus und der Präferenz für bestimmte Musikinstrumente. Grundtonhörer bevorzugten oft Musikinstrumente, die kurze, scharfe oder impulsive Töne produzieren – Schlagzeug, Gitarre, Klavier, Trompete, Querflöte oder hohe Soloinstrumente – und neigten darüber hinaus zu virtuoser, impulsiver, zeitlich synchroner Spielweise. Obertonhörer bevorzugten hingegen in der Regel Musikinstrumente, die länger ausgehaltene Töne mit charakteristischen Klangfarben oder Formanten im Spektrum produzieren – Streich-, Blech- oder Holzblasinstrumente in tieferen Lagen, Orgel oder Gesang.

Innerhalb der einzelnen Instrumentenfamilien waren die Spielerinnen und Spieler der jeweiligen Instrumente mit dem höchsten Register (Geige, Querflöte, Trompete) die jeweils stärksten Grundtonhörer. Die Spielerinnen und Spieler der Instrumente mit dem tiefsten Register (Kontrabass, Fagott, Bassposaune, Tuba, Orgel) waren umgekehrt die stärksten Obertonhörer. Diese Tendenz war auch bei den Sängerinnen und Sängern deutlich zu sehen: Bässe und Altistinnen hörten stärker spektral als Sopranistinnen und Tenöre.

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Die Präferenz von Musikinstrumenten hängt eng mit dem Grund- und Obertonhören zusammen, dargestellt für insgesamt 1 203 MusikerInnen und 170 NichtmusikerInnen (Mittelwerte); P. Schneider, 2012.